Die lackierten Einjährigen.

Militär-Humoreske von Viktor Laverrenz
in: „Hagener Zeitung” Beilage Unterhaltungsblatt vom 8.9.1897


Wir fünf Einjährigen bei der fünften Schwadron hatten einen schweren Stand. Unser Rittmeister war ein „Neuer”, d. h. er hatte erst vor kurzem die Schwadron übernommen und nun natürlich nichts eiligeres zu thun, als von Grund auf alles umzukrempeln und nach seinen Ideen zurechtzustutzen. Es gab keinen Winkel und keine Ecke in der Schwadron, die er nicht reformbedürftig gefunden hätte, und so reorganisierte er denn die ihm anvertraute Eskadron mit der Wut eines Neulings, der zum ersten Mal einen selbständigen Posten in die Hand bekommt und nun annehmen zu müssen glaubt, alle seine Vorgänger hätten nichts von der Sache verstanden.

Natürlich wurden auch wir Einjährigen in den engeren Rahmen einer unbedingt notwendigen Reorganisation gezogen.

Selbstverständlich mucksten wir nicht im geringsten und ließen uns beileibe nichts merken. Im Gegenteil, wir thaten so, als ob wir uns von den gemeinen Soldaten in keiner Weise unterschieden, und hätten es vielleicht gar so weit getrieben, uns die schwarz-weißen Schnüre von den Epaulettes abzuschneiden, wenn dies nicht gegen die Vorschrift gewesen wäre und — die Dinger nicht gar so nett ausgesehen hätten. Sie gaben einem doch gleich sozusagen ein vornehmes Relief.

Aber leider war unser Rittmeister etwas inkonsequent. Suchte er uns auf der einen Seite möglichst herunterzudrücken, damit wir, so weit thunlich, auf dasselbe Niveau kamen, wie die gemeinen Soldaten, so verlangte er andererseits, daß wir immer bedenken mußten, daß wir Einjährige seien und die moralische Verpflichtung hätten, unseren Kameraden, deren Dienstzeit drei Jahre betrug, in jeder Beziehung als Muster zu dienen, ganz besonders was die Sauberkeit des Anzuges, des Sattelzeuges und der Waffen anbetraf. Das war gewissermaßen der dramatische Konflikt, in dem wir Einjährigen bis über die Ohren staken.

„Der Einjährig-Freiwillige muß immer aussehen, wie aus dem Ei gepellt,” pflegte der hohe Chef zu sagen und wir bestrebten uns natürlich, schon um unseren guten Willen zu zeigen, den Worten unseres Rittmeisters nach Kräften gerecht zu werden. Auch wir sannen nun auf allerlei Reformen, welche dazu angethan sein sollten, unser Renommee in den Augen des Rittmeisters und somit das Renommee unserer ganzen Schwadron, inklusive ihres Rittmeisters, in den Augen des Herrn Regiments-Kommandeurs zu heben.

Eines schönen Tages erhielt ich, als ich mich auf meiner Bude befand, den Besuch meines Schusters.

Wir hatten ein tiefsinniges Gespräch über Lackstiefel und möglichst vorteilhafte Konservierung derselben und die Folge dieser Unterhaltung war, daß er mir eine Flasche eines ganz neu erfundenen Universal-Patent-Lederglanzlackes für drei Mark verkaufte. Eine Idee blitzte durch mein Hirn, deren Genialität so bedeutend war, daß sie meinem Schuster zuerst gar nicht einleuchten wollte.

„Hören Sie mal, Sohlmeyer,” sagte ich, „Sie empfehlen mir da einen Lack mit lauter guten Eigenschaften, als da sind Erzeugung von Spiegelglanz auch auf dem stumpfesten Leder, Abhaltung von Feuchtigkeit, Nichtannahme von Staub. Konservierung des Leders etc. — Wie wäre denn das? Könnte man nicht mit diesem Lack das Zaum- und Sattelzeug einschmieren und müßte das nicht einen gradezu verblüffenden Eindruck machen?”

Mein Schuster konnte, wie bereits gesagt, zuerst die großartige Idee gar nicht fassen. Dann aber öffneten sich plötzlich die Schleusen seiner Beredsamkeit und er gab mir die Versicherung, daß der Gedanke gradezu fabelhaft wäre und daß ich sicher damit bei unserm Rittmeister einen „glänzenden” Erfolg haben würde. Meine Brust schwellte sich von den kühnsten Hoffnungen und ich kaufte dem Edlen noch zwei weitere Flaschen des neuen Universal-Patent-Lederglanzlackes ab.

Am Nachmittag war mein Bursche nicht wenig erstaunt, als ich zum Sattelzeugputzen persönlich im Stall erschien. Das war ihm ganz etwas neues und — wie ich aus den Mienen der Beritts-Unteroffiziere und Ulanen lesen glaubte — überhaupt noch nie dagewesenes.

Ich ließ also durch meinen Burschen die ganze Schmierschicht von dem Leder sauber abwaschen, trocknete selber gut nach und bestrich dann ebenso eigenhändig wie geheimnisvoll mein Zaumzeug mit dem neuen Universalmittel. Die Unteroffiziere machten verwunderte Augen, traten zusammen und staunten unverhohlen meine eigenartige Thätigkeit an. Den neugierigen Fragen, welche massenhaft an mich gerichtet wurden, begegnete ich mit allerlei mystischen Andeutungen und nicht einmal der Wachtmeister, der gegen Schluß der Putzstunde durch die Ställe ging, bekam ganz reinen Wein eingeschenkt. Zwei volle Stunden hatte ich an jenem Tage der „Reform” meines Lederzeuges gewidmet.

Am andern Morgen gabs wie gewöhnlich Reitunterricht. Um 8 Uhr waren die Abteilungen auf dem Hofe aufmarschiert und meine schwarzbraune Stute am rechten Flügel meiner Abteilung(ich war Tetenreiter) stach mit ihrem glänzenden Lederzeug ganz gewaltig gegen die stumpfen, schmierigen Riemen der übrigen Pferde ab. Mein Gaul schien ordentlich zu empfinden, was mit ihm vorgegangen war. Stolz hob er seinen hübsch gezeichneten Kopf empor und sein Hals wölbte sich in einem besonders kühnen Bogen.

Als wir nun so dastanden und der Alte (unser Wachtmeister) „Stillgesessen” kommandiert halte, schritt der Rittmeister die Front ab; die Vorgesetzten waren, wie dies bei der Reitstunde üblich ist, zu Fuß. Wie nun der Schwadronschef zu mir herankam, blieb er ganz verdutzt stehen. Die Thatsache, daß einer seiner Untergebenen eine Reform anzubringen gewagt hatte, welche nicht von ihm höchst selbst veranlaßt war, mußte ihm ungeheuerlich vorkommen. An seinen Mienen merkte ich jedoch bald, daß, nachdem sich sein erstes Erstaunen gelegt hatte, er die ganze Sache von der wohlwollenden Seite zu betrachten begann und schließlich wurde ich einer eingehenden Beratung mit meinem hohen Chef gewürdigt. Er fragte mir sozusagen das Hemde vom Leibe und hielt mit seinem Lobe über meinen Gedanken nicht hinter dem Berge. Er erfuhr also von mir, daß das glänzende Aussehen des Sattelzeuges einem neuerfundenen Präparat zu danken sei, das den vielverheißenden Namen Universal-Patent-Lederglanzlack führte und daß dieses Präparat offenbar den Ansprüchen auch des reformwütigsten Rittmeisters entspreche.

Nur eins schien ihm ein schwer ins Gewicht fallender Fehler des Präparats zu sein, nämlich der sehr hohe Preis desselben. Als er erfuhr, daß ich zwei Flaschen à 3 Mk., in Summa also 6 Mk. für das eine Mal hatte anwenden müssen, da fiel ihm sozusagen das Herz in die Hosen und etwas schwermütig ging er von dannen. Ich glaubte jedoch an seinen Mienen während der Reitstunde zu bemerken, daß seine Augen mit begeistertem Wohlgefallen an meinem Sattelzeug hingen.

Nachher hatte der Rittmeister mit der Mutter der Eskadron eine, wie es schien, sehr wichtige Unterredung und als er dann gegangen war, trat der Wachtmeister zu mir heran und sagte, der Herr Rittmeister seien sehr unglücklich, denn mein Sattelzeug habe zwar famos ausgesehen, aber die Anschaffung des Uni— Uni— Uni— (Universal-Patent-Lederglanzlacks fiel ich ein) ja, des verteufelten Zeuges sei so kostspielig, daß er es mit den für die Schwadron zur Verfügung gestellten Geldern unmöglich beschaffen könne.

Holla, dachte ich bei mirk das ist ein Wink mit dem Zaunpfahl, und hier giebt es eine famose Gelegenheit, sich beim Rittmeister beliebt zu machen. Zum Frühstück begab ich müh in unser Einjährigenkasino, welches für uns in der Kaserne eingerichtet war, wurde daselbst aber von meinen Kameraden nicht grade sehr freundschaftlich empfangen. Man warf mir Mangel an Korpsgeist, ja sogar Verrat vor, weil ich meine Erfindung nicht sogleich mit allen geteilt hatte.

„Kinder,” sagte ich, „seid einmal ehrlich; wenn Ihr solche geniale Idee gehabt hättet, Ihr hättet sie doch auch nicht zum Besten gegeben. Aber ich werde Euch Ersatz bieten. Der„Schwarze” (so nannten wir unsern Rittmeister, wenn wir unter uns waren) möchte gern für die ganze Schwadronldann solches Sattelzeug haben; es ist ihm aber zu teuer. Was meint Ihr, wenn wir fünfe zusammenlegen. Ihr seid reiche Jungens, gegen die ich nur ein armes Luder bin, aber mein Teil zahle ich redlich.

Die Kameraden waren zufrieden und obgleich ein schöner Batzen Geld bei der Geschichte herauskam, so blechten wir doch sämtlich mit einer gewissen Genugthuung, und am Nachmittag wurde per Wagen eine ganze Fuhre Universal-Patent-Lederglanzlack requiriert. Mein Schuster hatte natürlich gar nicht so viel vorrätig und mußte seinen Bedarf erst von dem Engroslieferanten holen. Als wir mit unserer Ladung in der Kaserne ankamen, erstrahlte das Gesicht des dicken Wachtmeisters in aufrichtiger Freude und der breite Mund verzog sich zu einem ausdrucksvollen Grinsen, daß wir fürchteten, er würde bis an die Ohren auseinander reißen.

Jeglicher Dienst in der ganzen Schwadron wurde nun unterbrochen und alles in den Stall kommandiert, wo sich eine fieberhafte Thätigkeit entfaltete; sogar die Beritts-Unteroffiziere, die doch sonst nur zu schimpfen und zu wettern pflegten, legten mit Hand an, und das Fieber &bdqui;Sattelzeuglackieren” hatte sie allesamt mit Leib und Seele ergriffen. Bis in den späten Abend hinein wurde geputzt und die Ställe durchzog ein Duft von Lack, als wenn man sich nicht in einem Pferdestall, sondern in der Universal-Lederglanzlack-Fabrik befände.

Am andern Morgen war das ganze Regiment in Aufregung. Die Offiziere kamen nach dem Reithof der fünften Schwadron gelaufen, das neue Wunder anzustaunen. Da standen sämtliche Pferde mit einem blendenden Sattelzeuge. Die Rittmeister steckten die Köpfe zusammen und niemals vorher hatte man sie so freund-kameradschaftlich zu dem Schwarzen, der als das enfant terribie des Regiments galt, sprechen sehen, wie heute. Der aber schmunzelte und sagte geheimnisvoll: „Ja, ja, meine Einjährigen!” und die anderen entsetzten sich darob und glaubten, er wäre übergeschnappt, denn es war allgemein bekannt, daß er ein rechtschaffender Einjährigenfresser war.

Zufällig kam auch der Herr Oberst daher und war nicht wenig erstaunt, seine ganzen Rittmeister und das gesamte Offizierkorps bei der fünften Schwadron versammelt zu finden, auch er war von dem Glanz des Sattelzeuges gradezu geblendet. Natürlich wurde sofort dafür gesorgt, daß das ganze Regiment sich die neue Erfindung zu nutze machte, und die Herren Einjährigen waren schließlich diejenigen, welche bluten mußten. Am schwersten empfanden sie dies bei der ersten Schwadron, denn dort waren ihrer nur drei; nun zum Glück trafs: keine Armen.

Etwas bange wurde uns bei dem Gedanken, wie es in Zukunft werden sollte, aber doch. Es konnte doch unmöglich von uns verlangt werden, daß wir nun jedesmal den für die Schwadron nötigen Lack anschaffen. Das mußte schließlich auch dem reichsten unter uns zu viel werden. Aber es sollte schon zu rechter Zeit etwas eintreten, was uns ein für allemal von weiteren Geldausgaben hierfür dispensierte.

Es mochte etwa eine Woche vergangen sein, da stürzte eines Tages der Regimentskommandeur ziemlich aufgeregt zu uns auf den Schwadronshof, wo wir gerade wieder Reitstunde hatten. Ich sah unsern Schwarzen so bleich werden, wie frische schlemmkreide, und ihn die Rechte an die Mütze legen mit einer Korrektheit, die niches gutes bedeutete. Der Oberst ließ auch gar nicht, wie er sonst zu thun pflegte, den Rittmeister aus dieser streng dienstlichen Stellung treten, redete vielmehr auf ihn ein in einer Weise, die man, wenn es sich um einen Unteroffizier und einen Rekruten gehandelt hätte, mit dem Worte „Anschnauzen” hätte bezeichnen müssen. Das Gesicht unseres Rittmeisters wurde immer röter, seine Haltung immer steifer und als der Oberst endlich kurz abbrach und fast ohne zu grüßen über den Hof schritt wie mit Siebenmeilenstiefeln, da stand der Schwarze noch einen Augenblick ganz konsterniert da und vergaß, die Hand herunter zu nehmen. Als er sich aber herumdrehte, da hatte sein Gesichtsausdruck etwas furchtbares. Ich ahnte ein gräßliches Unheil und verlor vor Schreck die Bügel. Er sah es, aber er sagte nichts dazu, und dieses Schweigen war mir fürchterlicher, als wenn er mich direckt vom Pferde heruntergebrüllt hätte.

Viel früher als sonst mußten wir einrücken; dann wurde die beängstigende Parole ausgegeben: „Nach dem Einrücken sogleich antreten im zweiten Stall bei der Futterkiste.” Uns war entsetzlich schwül zu Mute, als wir die Gäule in den Ständer führten, um sie notdürftig abzusatteln. Wir wußten alle, daß ein schweres Gewitter über unseren Köpfen hing. Kein Wort wurde gesprochen; es war, als fürchteten wir uns, einander anzusehen.

Und nun wurde angetreten. Der„Schwarze” ging mit Sturmlaune auf dem Asphaltdamm des Stalles auf und ab und selbst der Alte, der sonst immer etwas zu räsonnieren oder zu schnauzen hatte, sagte keinen Ton. Das erste Wort, welches er von sich gab, war:„Stillgestanden!” Dann ging er zum Schwarzen und meldete, daß die Schwadron angetreten sei.

„Die Einjährigen vortreten!” kommandierte der Rittmeister kalt.

Ach. du lieber Gott! Uns armen Sündern war schon lange das Herz in die Hosen gefallen. Was mochten wir denn nun wieder verbrochen haben; wir glaubten doch jetzt wegen des blanken Sattelzeuges ein für allemal fein heraus zu sein; sollten wir uns nun doch wieder getäuscht haben? Bebenden Fußes traten wir an; ich als der größte am rechten Flügel.

Und nun gings los. Fliegend vor Zorn hielt uns der Schwarze eine Rede, daß zwar die ganze Schwadron ein zusammengelaufenes Gesindel sei; daß wir Einjährigen aber ganz besonders Ursache hätten, uns in Grund und Boden hinein zu schämen. Wir sollten uns ja nicht etwa einbilden, daß wir etwas besseres seien, als die gemeinen Soldaten, im Gegenteil, wir sollten unserm Schöpfer auf den Knieen danken, wenn diese uns als ihre ebenbürtigen Kameraden anerkannten. Kurz und gut, er kam auf die Geschichte mit dem Lack. Wie wir nur so borniert sein könnten und denken, wir verständen etwas besser als die preußische Militärverwaltung, die schon so herrliche Siege mit ihren Truppen errungen habe. Und da kämen wir nun daher, wüßten nichts vom hellen lichten Tage und wollten die alte, ehrliche Sattelseife schlecht machen und Neuerungen einführen mit einem Lack, der zwar die ersten paar Tage ganz leidlich aussähe. aber das Leder brüchig mache, so daß nunmehr das gesamte Zaumzeug des Regiments total verdorben sei. Ich glaubte zuerst, ich könnte meinen Ohren nicht mehr trauen, bekam aber sofort die nötige Ueberzeugung, daß ich bisher ganz richtig verstanden hatte; denn nun gings über meine Person allein her, wie ich mich unterstehen könne, meine Vorgesetzten derartig zu blamieren und ob ich mir vielleicht gedacht hätte, die preußischen Heerführer und alle, die die Armee groß gemacht hätten, wären dumme Jungen gewesen.

So ketzerische Gedanken kamen mir nun allerdings nicht in mein jugendliches, subalternes Hirn, aber sagen durfte ich jetzt bei Leibe nichts. Schließlich kriegten wir sämtlich acht Tage Straf-Stalldienst und hatten das Vergnügen, mit warmem Wasser die letzten Reste des Lackes vom Zaumzeug herunterzuwaschen und alles wieder mit der kleberigen Sattelseife einzuschmieren. Der Rittmeister hat mir die Geschichte das ganze Jahr nicht vergessen; beim Wachtmeister hielt es bis zum nächsten ersten an und bei den Unteroffizieren so lange wie der Straf-Stalldienst dauerte.

Von meinen Spezialkameraden hatte ich aber noch besonders zu leiden; sie hielten mir die Geschichte nun erst recht vor und uzten mich, wo sie meiner habhaft werden konnten.

Den größten Triumph bei der ganzen Affäre aber erzielte die alte, ehrliche, schmierige, klebrige und unappetitliche aber billige Sattelseife.

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